DB-Regio-Statistiken zur S-Bahn-Pünktlichkeit sind Mogelpackungen
Presseinformation Nr. 3/2014, Stuttgart, 5. Februar 2014
Live-Fahrplan von DB Regio liefert aussagekräftige Datenbasis
Ursachen lassen sich nur durch Betrachtung einzelner S-Bahn-Linien beheben
Pendler im Stuttgarter S-Bahn-Verkehr wussten es schon immer: Die von der Deutschen Bahn (DB) Regio veröffentlichten Pünktlichkeitswerte spiegeln die Realität vieler Berufspendler mit Verspätungen und Zugausfällen nicht wieder, bestätigt der ökologische Verkehrsclub VCD e.V. die Einschätzung vieler Fahrgäste. Der VCD ermittelte deshalb in Kooperation mit den Betreibern des Informations- und Mitmachportals http://s-bahn-chaos.de eine aussagekräftigere Datenbasis, deren Auswertung erstaunliches zu Tage förderte.
„Schon die offiziellen DB-Statistiken zeigen, wie die Pünktlichkeit der S-Bahn Stuttgart sich von Jahr zu Jahr verschlechtert und die mit dem Aufgabenträger Verband Region Stuttgart (VRS) vereinbarten Ziele weit verfehlt werden“, erklärt VCD-Landesvorsitzender Matthias Lieb. „Unsere detaillierte Daten-Analyse ergab, dass selbst in den Fällen, in denen die Zielwerte erreicht werden, dennoch jeder vierte Pendler unter Verspätungen von mehr als 3 Minuten zu leiden hat.“
Gewichtet man die Pünktlichkeit pro S-Bahn-Linie mit den jeweiligen Fahrgastzahlen pro Linie, so ergibt sich ein nach betroffenen Fahrgästen gewichteter Durchschnittswert für alle Linien, der deutlich unter den von der DB Regio veröffentlichten Pünktlichkeitswerten liegt, stellt der VCD-Landesvorsitzende fest.
„Da seit dem S-Bahn-Start 1978 das gesamte ÖPNV-System auf einer 3-Minuten-Pünktlichkeit aufgebaut ist und die Bus- und Bahn-Anschlüsse darauf abgestimmt sind, bringen schon diese vergleichsweise geringen Verspätungen das Gesamtsystem mit den Anschlüssen ins Wanken –ein verpasster Anschluss bedeutet dann nicht mehr nur drei Minuten, sondern gleich 15 oder oft 30 Minuten Verspätung für die täglichen Berufspendler.
Matthias Lieb kritisiert die von der DB Regio monatlich und jährlich als statistische Durchschnittswerte über alle S-Bahn-Linien veröffentlichen IST-Werte als Mogelpackung. Diese werden zwar in Bezug auf die vereinbarten 3- und 6-Minuten-Zielwerte dargestellt, verschleiern allerdings aufgrund dessen, dass sie sich auf die komplette Betriebszeit beziehen, jegliche Rückschlüsse auf das Verspätungsverhalten während der Hauptverkehrszeiten und einzelner S-Bahn-Linien. Hinzu kommt, dass ausgefallene Züge in dieser Statistik gar nicht auftauchen.
„Während mehr als die Hälfte der Fahrgäste der S-Bahn in den Spitzenstunden morgens und abends unterwegs sind, gehen in die Statistik die gesamten 24 Stunden des Tages sowie die Wochenenden ein und hübschen damit die Durchschnittswerte auf“, erläutert Matthias Lieb die Methodik der DB-Regio zur Ermittlung der Pünktlichkeit. „Eine Auswertung der morgendlichen Hauptverkehrszeit aller Freitage im den letzten Vierteljahr ergab, dass die Pünktlichkeit hier sogar nur bei 65 Prozent liegt!“
„Lediglich Aussagen zu Ereignissen, die eindeutig zugeordnet werden konnten, wie sich auf das S-Bahn Netz auswirkende Bauarbeiten zu Stuttgart 21 oder die neu eingesetzten Fahrzeuge BR 430 ab Sommer 2013, spiegelten sich in ihren Folgen in der Statistik der DB Regio wieder“, erläutert der VCD. Da das Problem deutlich verfehlter Zielwerte im S-Bahn-Verkehr auch nach diesen Ereignissen zum Leidwesen vieler Pendler andauere, müssen die Ursachen tiefer liegen, so der VCD.
„Die DB Regio liefert mit ihrem Live-Fahrplaneine geeignete Basis, um aussagekräftige, aktuelle Daten zu generieren. Aus diesen Daten können wir den VVS-Kunden stundenaktuell die Linienpünktlichkeit des kompletten S-Bahn Systems zur Verfügung stellen“, erklärt Marc Braun, Mitbegründer des Informations- und Mitmachportals http://s-bahn-chaos.de. „Auch über Störungen können wir sehr schnell auf Twitter unter dem Hashtag #sbahnstgtinformieren.“
Marc Braun: „Über einen längeren Zeitraum gespeichert und ausgewertet, lassen die Daten aus dem Live-Fahrplan der DB Regiodie erheblichen Probleme beim S-Bahn-Verkehr klar erkennen: S-Bahn-Linien mit einem hohen Fahrgastaufkommen, wie die S1 bis S3, sind unpünktlicher als die Linien S4 bis S6 und S60. Umso wichtiger sind deshalb die Einzelbetrachtungen von S-Bahn-Linien, um die Probleme passgenau und damit nachhaltig lösen zu können.“
Matthias Lieb: Für Berufspendler ist vor allem die Zuverlässigkeit in der Hauptverkehrszeit (HVZ) entscheidend. Sind die Anschlüsse in die Fläche nicht sicher erreichbar oder werden sie häufiger verpasst, wie dies bereits bei einer Verspätung von 3 Minuten häufig, bei 6 Minuten regelmäßig der Fall ist, fahren die Pendler zwar weiter mit der S-Bahn, nehmen aber statt den Bus das Auto zur S-Bahn. Folgen dieser anhaltenden Unpünktlichkeit bei der S-Bahn Stuttgart sind somit weniger Fahrgäste beim Busverkehr – dies führt entgegen den politischen Aussagen zu noch mehr Autoverkehr und weiteren Staus in der Region Stuttgart.
„Problematisch ist, dass die DB keine ökonomischen Nachteile aus der Unpünktlichkeit hat, solange die Fahrgäste zwar weiterhin die S-Bahn nutzen und nur die Anschlussbusse meiden: Die Verluste im Busverkehr müssen die dafür zuständigen Landkreise ausgleichen, während die Pönalen, die der VRS mit der DB im Fall der Unpünktlichkeit vereinbart hat, für die DB minimal sind“, bemängelt Matthias Lieb. Deshalb wiederholt der VCD seine Forderung nach einer Entschädigungslösung für die Fahrgäste (Österreichisches Modell), wenn die Pünktlichkeit den vereinbarten Zielwert unterschreitet.
Außerdem sollte aus VCD-Sicht die Pünktlichkeitsstatistik der DB auf neue Füße gestellt werden: „Anstelle der Zugverspätungen müssen die Reisendenverspätungen im Fokus stehen –schließlich fahren die Züge für die Fahrgäste und diese interessiert nur, ob sie pünktlich ans Ziel kommen. In der Schweiz hat man dies schon vor einigen Jahren erkannt und stellt entsprechend die Reisendenverspätung dar“, erklärt Matthias Lieb.
Mangelhaft sei ebenfalls das bisher geltende Anreizsystem, das die DB Regio eigentlich motivieren sollte, diese Missstände rasch zu beseitigen. Der VCD vermisst beim Verband Region Stuttgart als Aufgabenträgerin klare Worte und Maßnahmen, um die vertraglich vereinbarte Pünktlichkeit einzufordern.
Der VCD appelliert mit Nachdruck, dass sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen müssen, um die Probleme im S-Bahn-Verkehr Stuttgart dauerhaft lösen zu können. Alle Fakten und Zahlen müssen zugänglich gemacht werden, es darf keine Vorbehalte dabei geben, erklärt der VCD-Landesvorsitzende.
Weitere Informationen unter
- http://www.vcd-bw.de sowie unter
- http://www.s-bahn-chaos.de
- https:twitter.com/search?q=%23SBahnStgt&src=hash
- Präsentation zur Pressekonferenz am 5. Februar 2014: Statistiken zur Pünktlichkeit: Wie ein Durchschnittswert die Ursachen verschleiert
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