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Sie sind hier: VCD Landesverband Baden-Württemberg e.V.ThemenStuttgart 21Kopfbahnhof 21Denkmalschutz

Mit Stuttgart 21 würden denkmalgeschützte Gebäude und Anlagen zerstört

Im 19. Jahrhundert war ein Bahnhof für die mit der Eisenbahn Reisenden das Tor zur Stadt, augenfällig durch die Randlage der Bahnhöfe an der Peripherie der alten Stadt­zentren. Auch der heutige Stuttgarter Hauptbahnhof, zwischen 1914 und 1928 nach Plänen von Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer errichtet, macht hier keine Ausnahme.

Das Tor zur Stadt

Direkt vor die durch das Königstor abgeschlossene Stadterweiterung des frühen 19. Jahrhunderts gesetzt, bildete er das Entrée zur Hauptstadt des Königreichs Würt­tem­berg. An diese Funktion erinnert uns immer noch das Wort „Empfangs­gebäude“, wie der sogenannte Bonatzbau auch offiziell und zutreffend bezeichnet wird: Verließen die Reisenden nach ihrer Ankunft den Zug, so wurden sie durch die Kopfbahnsteighalle auf den durch die vom Königstor hierher versetzten Figuren­gruppen betonten Ausgang geleitet, über dem immer noch das ebenfalls vom Königstor stammende Wappen Württembergs angebracht ist. Über die breite Treppe schritten sie hinunter auf den Vorplatz, um von dort in die Stadt zu gelangen. Heutzutage ist die Situation durch die Kriegsverluste und die zahlreichen Einbauten verunklart, aber auch durch die Abschiebung der Reisenden in den Untergrund.

Das Empfangsgebäude bietet auch Wege für die Abreisenden: Ursprünglich wurde der Fernverkehr von der Königstraße kommend auf den Rundbogen der Großen Schalterhalle und von dort in die Kopfbahnsteighalle geführt, der Nahverkehr über die Kleine Schalterhalle. Darum ist der in der Mitte liegende Ausgang von außen durch die Arkaden verdeckt, um die Ströme der Reisenden voneinander zu trennen.

In den Schalterhallen lässt sich noch erfahren, wie aufwendig das Gebäude auch im Innern gestaltet war. Der Wiederaufbau des Gebäudes nach den Kriegs­zer­störun­gen – wiederum unter der Leitung von Bonatz – erfolgte in vereinfachter Form. Wegen der Störungen im Mauerwerk ist die Kopfbahnsteighalle deshalb heutzutage verputzt. So ist der ursprüngliche Raumeindruck, der mit den beid­seitigen Rund­bogen­öffnungen und dem Ziegelmauerwerk an eine römische Palastaula erinnert, leider verloren gegangen.

Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung

Dieser Ausbauzustand von 1952 ist als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung ins Denkmalbuch eingetragen. Daneben ist das Empfangsgebäude mitsamt allen zugehörigen Bahnbauten wie den Seitenflügeln, Brücken oder Überwerfungs­bau­werken als Sachgesamtheit eingetragenes Denkmal. Damit stehen nicht nur die Bausubstanz und das Erscheinungsbild des Empfangsgebäudes, sondern auch dessen Funktion mit den aufgezeigten Spezifika unter Schutz.

Funktionsloser Torso

Mit der Realisierung von Stuttgart 21 wird der Bonatzbau jedoch zum Torso: Das äußere Erscheinungsbild, das mit der Höhenstaffelung verschiedener einfacher Kuben auf der Stadtseite richtungsweisend war, wird durch den Abriss der Seiten­flügel, der Bahnsteigdächer und der Bahnsteige ebenso beeinträchtigt wie durch die Veränderungen an der Kopfbahnsteighalle, die das Gebäude auf der Ostseite wie abgeschnitten stehen lassen.

Die Substanzverluste sind durch den Komplettabriss der Seitenflügel und die Aus­beinung des Innern zugunsten der durchgängigen Passagen vom Klett-Platz zu den neuen Bahnsteigen ebenso dramatisch.

Das gesamte Gebäude wird nur noch eine funktionslose Hülle, um die Einkaufs­passagen zwischen Klett-Passage und Bahnsteig zu überdecken, die Kopf­bahn­steig­halle verliert den Boden unter den Füßen, die Symmetrie der Halle wird durch die Verlängerung der Öffnungen und die Umgestaltung der Fenster aufgegeben.

Überwerfungsbauwerke und Neckarbücke

Der Bonatzbau ist nicht das einzige Denkmal, das durch die Planungen zu Stuttgart 21 bedroht ist: Hervorzuheben sind aus der Sachgesamtheit Hauptbahnhof Stutt­gart die Überwerfungsbauwerke im Vorfeld, die durch ihre bis zu dreistöckige Konstruktion ein weitgehend kreuzungsfreies Einund Ausfahren ermöglichen. Sie stellen eine derart fortschrittliche Konstruktion dar, dass heute – nach über achtzig Jahren – dieselbe Technik beim Ausbau des Frankfurter Hauptbahnhofs aufgegriffen wird. Ein anderes Bauwerk, das ebenso wie der Bonatzbau selbst die Spuren des Krieges zeigt, ist die Neckarbücke zwischen Rosenstein und Cannstatt, die 1914 in Stampfbeton ausgeführt wurde. Sie war bis dato die längste Eisenbahnbrücke in Stampfbeton. 1945 gesprengt, ist sie 1949 ebenfalls wieder in Stampfbeton unter Bewahrung der erhaltenen Substanz aufgeführt worden. Diese zwei Phasen lassen sich deutlich an der Bauzier der Brücke ablesen.

Demokratischer Park

Nicht als Denkmal eingetragen, obwohl denkmalwürdig, sind die Anlagen des ehemaligen Schlossgartens. Ursprünglich als herrschaftliche Anlage mit zentral­axialer Prägung entstanden, ist er nach dem zweiten Weltkrieg durch Ver­än­derungen im Zuge mehrerer Gartenschauen zu einem „demokratischen“ Park geworden. Ebenso wie die bauliche Ausstattung des Geländes – unter anderem der Landespavillon und das Café am See – weist die Ausstattung mit Wasserspielen darauf hin, dass statt Repräsentation und Distanz eine funktionale Ästhetik der Offenheit Einzug gehalten hat. Besonders deutlich wird dies am aus der Herrschafts­achse gerückten Ekkensee wie auch an den Wasserpilzen in den Mittleren Anlagen.

Auch diese Anlage, die schon jetzt unter der Zerschneidung durch zwei Straßen leidet, wird durch Stuttgart 21 stark beeinträchtigt. Die Mittleren Anlagen sollen durch einen bis zu acht Meter hohen und 80 Meter langen Riegel auf ganzer Länge zerrissen und damit faktisch zerstört werden.

Dieter Laube